Geschichte, Schuld und Verstörung
Interview mit André Heller und Othmar Schmiderer
Die Geschichte des Holocaust stellt ihre Chronisten
grundsätzlich vor das Problem der Darstellungsweise. Wie
kam es zu der Entscheidung, ohne Rekonstruktionen, ohne illusionistische
Mittel, ohne Musik, ohne Spielszenen zu arbeiten sondern
nur mit den Erzählungen, dem Gesicht einer Frau?
Heller Ich komme aus der Tradition des Geschichtenerzählens,
des Zuhörens, ich verlasse mich darauf, dass eine spannende
Figur, die etwas Spannendes erzählt, kein Beiwerk braucht.
Ich will beobachten, was ist eine Handbewegung, wie synchron ist
einer mit seiner Körpersprache und der Geschichte, die er
erzählt? Sagt mir sein linker Fuß, dass er wahrscheinlich
lügt bei dem, was sein Mund gerade ausspricht? Ich wäre
nie auf die Idee gekommen, die Frau Junge mit irgendwelchen optischen
Nebenschauplätzen zu unterwandern. Wenn etwas nicht interessant
ist, dann wird auch das Beiwerk es nicht erhöhen können.
Dann ist es eben ein Bluff.
Schmiderer Die grundsätzliche Frage ist ja immer,
welche Haltung man einem Menschen gegenüber einnimmt, welchen
Raum man ihm zugesteht, inwieweit man einer einfachen Sprache
vertraut. Es war für uns von vornherein klar, dass wir uns
auf das Wesentliche konzentrieren. Dass es darum geht, wirklich
hinzuhören und hinzusehen und, was ein ganz wesentlicher
Aspekt ist: beim Zusehen und Zuhören die Bilder bei einem
selbst entstehen zu lassen.
Waren die Fragen an Frau Junge festgelegt? Wollte sie selbst wissen,
in welche Richtung die Fragen gehen werden?
Heller Nein, ich habe gesagt, Frau Junge, ich frage Sie
über Ihr Leben und Sie erzählen so viel, wie sie Kraft
haben. Und sie hatte viel Kraft. Wir hatten keine festgelegten
Fragen, ich hatte auch keine Fragenliste. Wir haben zu reden begonnen,
wenn ich mich recht erinnere, über ihre Geburt, wo sind Sie
geboren, wie war Ihre Familie... ich wusste das alles nicht. Ich
habe das in diesem Gespräch zum ersten Mal erfahren. Ich
hatte ihre Aufzeichnungen von 1947 gelesen, wo bestimmte Dinge
nur angedeutet waren, die die Familie betreffen.
Schmiderer Das war eigentlich kein Interview im eigentlichen
Sinn, sondern ein wirklich offenes Gespräch. Wir haben den
technischen Aufwand auch bewußt sehr reduziert. Wir haben
kein Licht gesetzt, um ihr nicht das Gefühl zu geben, sie
irgendwie auszustellen, sondern versucht, diese intime Begegnung
zu bewahren.
Gab es bei dieser so lückenlos scheinenden Beichte der Frau
Junge bestimmte Widerstände zu überwinden?
Heller Zunächst einmal hat die Frau Junge diese Geschichte
ohne den Stress erzählt, dass das jemand anderer sehen würde.
Das war mein Angebot: Wir filmen es, aber es gehört Ihnen,
und Sie entscheiden, ob Sie es jemandem zeigen wollen oder nicht.
Man sieht dann auf dieser zweiten Ebene wenn sie sich selber
beim Erzählen beobachtet und zum ersten Mal sieht, wie sie
wirkt, wenn sie etwas erzählt dass dann der Stress
bei ihr einsetzt. Aber dieser Furor, dieser Dammbruch des ersten
Erzählens... Einige wenige Kritiker haben geglaubt, die hat
das auswendig gelernt, oder es sei ein sensationell vorbereitetes
Stück Schauspielkunst. Aber diese Frau hat sich 55 Jahre
lang in ihrem Kopf mit jedem Augenblick auseinander gesetzt, diesem
für sie Verstörenden, dem als Schuld Empfundenen in
der Retrospektive der Zeit. Und dann ist es plötzlich wie
ein Vulkanausbruch herausgekommen. Ich musste ihr nur durch Gespräche
Mut machen, dass ich nicht von der Inquisition bin, sondern ein
interessierter, sie achtender Mensch. Ich hab ihr meine Familiengeschichte
erzählt, die ja ganz anders ist, sozusagen das andere Ende
der Leitung zwischen uns. Aber eines muss man sagen, das haben
wir vorher nicht gewusst: Sie ist natürlich eine begnadete
Erzählerin.
Man hat den Eindruck, dass die Frau Junge die Dinge, die sie erlebt
hat, für sich sehr geordnet hat was es ihr erst ermöglicht,
eine solche Erzählung auszubreiten.
Heller Jetzt wissen wir, dass diese Dinge geordnet waren.
Weil es Zeit für sie war, zu gehen. Sie musste noch eines
erledigen: das Geordnete aussprechen. Wir haben beim Interview
nicht geahnt, dass sie ein paar Monate später ihren Abschied
nimmt, und sie selbst hat es auch nicht gewusst ihre Seele
vielleicht, aber der Geist nicht.
Viele werden sich vielleicht fragen, warum die Frau Junge so lange
geschwiegen hat, warum sie mit dieser inneren Last so lange gewartet
hat, bis sie öffentlich wurde?
Heller Sie war der Ansicht, sie ist nicht gescheit genug,
um ihre eigene Geschichte zu erzählen. Sie war zwar gescheit
genug, um diese Ängste zu haben, den Krebs, die endogene
Depression, das alles hat sie sich zugestanden. Aber dass sie
das erlöst, indem sie es erzählt, das ist ihr lange
nicht in den Sinn gekommen. Ganz im Gegenteil: Sie empfand es
als gefährlich. Zweitens hat sie Angst gehabt, dass sie zu
einer Wallfahrtsstätte für alte Nazis wird, dass man
das missversteht. Drittens: sie hat Angst vor Journalisten. Wenn
ich ein Journalist gewesen wäre, dann wäre es nie zu
dem Projekt gekommen.
Schmiderer Wobei man dazu sagen muss, dass sie ja schon
negative Erfahrungen mit Journalisten gemacht hat, insofern war
sie natürlich sehr vorsichtig damit, wem sie sich öffnet.
Heller Das war eine Voraussetzung: dass wir unter Umständen
zehn Stunden reden was wir am Schluss dann auch gemacht
haben und dass sie es abnimmt. Wir haben das ausgesucht,
was uns für 90 Minuten oder für 3 1/2 Stunden, diese
zwei Versionen gab es, das Betroffen-Machendste erschien
nicht das Spektakulärste. Der Othmar hat es ihr vorgeführt,
und sie hat ihr Einverständnis gegeben. Sie hat 55 Jahre
gebraucht, damit es gar war, und dann hat sie dieses quasi unsichtbare,
winzige Team gebraucht, in dieser winzigen Wohnung, dieses Unprofessionelle,
dieses nichtjournalistische. Ich glaube, die Frau Junge hat den
Film jetzt gemacht, weil wir uns für ihr Leben interessiert
haben und nicht für den Hitler. Das war für sie
sehr verblüffend, weil sonst immer Leute gekommen sind, die
wissen wollten: Der Goebbels, was haben Sie uns dazu zu sagen,
und der Göring... Aber wir haben gefragt: Wie war es bei
Ihnen zu Hause am Esstisch, als sie 14 waren? Vieles von
dem ist nicht im Film, aber das Ergebnis war ein Vertrauensklima,
und das ist im Film.
Aus manchen Momenten des Films scheint sehr stark das Unbewusste
aus der Frau Junge zu sprechen, eine bestimmte Verbundenheit mit
dieser Situation, mit diesem Mann.
Heller Mich beruhigt das eher, dass ich von der Junge etwas
von der Faszination Hitlers mitkriege. Wir schulden es uns selbst
anzuerkennen, dass der äußerst wirkungsvoll war. Und
die Junge ist eine der wenigen, die das zugibt. Ich habe sie gebeten
zu versuchen, uns das nicht mit ihrem heutigen Wissen zu erzählen,
sondern wie sie das damals erlebt hat. Und da sagt sie einen komischen
Satz: Dass in der Zeit der Hitler wirklich was Großes war.
Ja, das glaube ich, dass der damals was Großes war!
Als sie zu ihm kam, war der Hitler eine unvorstellbar machtvolle
Figur, vor der die ganze Welt gezittert hat. Dass jetzt die kleine
Humps, wie sie sich selber nennt, beeindruckt ist, wenn
die plötzlich stundenlange Privatgespräche mit dem gefürchtetsten
und in Deutschland zu dem Zeitpunkt geachtetsten und teilweise
auch geliebtesten Menschen führt, das ist doch logisch.
Schmiderer Es geht ja schon im Titel des Films darum zu
fragen: wo liegen die toten Winkel, auch in einem selbst. Anhand
der Frau Junge, dem Prozess ihrer Aufarbeitung, sieht man ja,
wo sich solche tote Winkel noch befinden. Das ist der interessante
Punkt: sich diese Winkel anzusehen, bei der Frau Junge
und bei sich selbst.
Heller Und vergessen wir nicht: sie spricht über ihre
Feigheit. Ich verstehe es, dass eine 22-jährige Sekretärin
vom Hitler, die erlebt hat, wie die Frau eines Reichsstatthalters
rausfliegt, sich nicht am nächsten Tag hinsetzt und... sie
war eben keine Heldin. Sie sagt aber: "Ich kann mir nicht
verzeihen nicht dass ich nicht wie die Sophie Scholl war,
sondern dass ich nicht wenigstens mehr gewusst habe. Dass ich
mich nicht bemüht habe, informiert zu sein. Es wäre
mir nichts passiert, wenn ich nicht zum Hitler gegangen wäre,
ich hätte ja nein sagen können." Sie
sagt nicht, dass man nicht hätte wissen können, was
im KZ war, sondern dass sie es vielleicht auch nicht hatte wissen
wollen. Sie erspart sich diesen Vorwurf nicht. Ich habe Respekt
davor, dass jemand so ernst mit den Engeln und Teufeln in sich
ringt.
Dennoch wie tritt man jemandem gegenüber, der so eng
mit den Mördern zusammengearbeitet hat? Muss man sich schützen
gegen den Hass, der in einem selbst hochkommen und das Gespräch
beschädigen könnte?
Heller Ich hätte mir oft gewünscht, dass in meiner
Verwandtschaft, die auf der Opferseite war, Menschen ihre eigene
Geschichte so reflektiert hätten wie die Frau Junge. Mein
Vater ist seelisch und geistig vernichtet aus der Emigration zurückgekommen,
er konnte sein eigenes Dasein nurmehr mit Opium ertragen, er konnte
sich, wie viele Überlebende, nicht verzeihen, dass es ihm
gelungen ist, sich zu retten, während es vielen seiner Freunde
und Verwandten eben nicht gelungen ist. Die Frau Junge kann sich
nicht verzeihen, dass sie beim Hitler war mein Vater, der
1958 schon gestorben ist, konnte sich nicht verzeihen, dass er
überlebt hat. Ursache zweimal diese Mord- und Mörderfigur
Hitler.
Eine andere Geschichte, die uns sehr beschäftigt hat, ist
die Frage, wie diese Figur Hitler hier und heute in unser Leben
hinein regiert. Es ist unglaublich. Es gibt keine Figur, die größeren
Einfluss, mehr Weichenstellungen und Schicksalsfallgruben eröffnet
hat als dieser Dreckskerl. Und wir stellen uns dem Thema natürlich
auch nur, wenn uns etwas dazu zwingt, zum achtmillionsten Male
darüber nachzudenken. Und wir entdecken dann immer noch hundert
Aspekte, die wir vergessen hatten.
Schmiderer Wenn man sich mit der Frau Junge auseinandersetzt,
dann beschäftigt man sich mit Dingen, von denen man vielleicht
geglaubt hat, man hätte sie schon hinter sich. Ich habe ursprünglich
gedacht, diese Geschichte wäre für mich abgeschlossen.
Und eine solche Auseinandersetzung stellt einen dann selbst sehr
intensiv in Frage. Wir hoffen, dass es uns mit diesem Film gelungen
ist, auch den Betrachter auf irgendeine Weise in Frage zu stellen.
Heller Wir leben in Österreich gerade in Zeiten, wo
der Opportunismus vieler Intellektueller und Künstler in
seiner so unfassbaren Weise zum Tragen kommt, obwohl alles, was
man riskiert, ein bißchen Subventionskürzung oder ein
schlecht gereimtes Hohngedicht in der Kronenzeitung ist. Menschen
die die gesamte Nazigeschichte kennen, wie benehmen sich die gegenüber
dieser Regierung, die der Haider hypnotisiert und fernsteuert?
Diese Leute gehen weiter zu den Ordensverleihungen an Künstler
durch die Regierung und sitzen in den Juries... Die Ausreden sind
dann: Ja, wenn ich es nicht mache, dann wird ja alles noch viel
schlimmer. Diese gleichen idiotischen Sätze, die die Mitläufer
in der Nazizeit gehabt haben! Ich weiß nicht, wie ich mich
unter Todesbedrohungen verhalten würde, aber unter den jetzigen
österreichischen Bedingungen kann man sich ein bissel Haltung,
glaube ich, wirklich leisten. Die Intellektuellen sollen sich
nicht zu Richtern aufspielen, sie sollen schauen, wie sie sich
in ihrer Umgebung, zu ihrer Zeit benehmen.
War die Frau Junge denn wirklich so sehr im toten Winkel,
abgeschnitten von jeder Information über die Wirkungsweisen
und Mechanismen des Dritten Reiches? Ist das nicht möglicherweise
ein Selbstschutz?
Heller Es kann sein, dass die Junge mehr gewusst hat, als
sie in dem Film erzählt. Ich glaube schon, dass sie ein paar
Dinge ausgeblendet hat. Gleichzeitig glaube ich aber, dass sie
immer bemüht war, nichts auszublenden. Es ist ihr im Laufe
ihres Lebens vielleicht nicht gelungen, sich das Ausgeblendete
zurückzuholen. Das sind dann ihre eigenen toten Winkel, die
blinden Flecke, die sie sich selber geschaffen hat. Aber ich glaube,
in diesem Satz: Ich bin feige gewesen, ich habe mich dem
nicht gestellt, ich hätte mehr wissen sollen...
da stecken ja solche Eingeständnisse mit drin.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Montage des Films erarbeitet?
Schmiderer Das Schwierige bei zehn Stunden Material ist
natürlich, sich dem Material anzunähern, sich ihm anzunehmen,
zu kürzen. Immer wieder sind wir es durchgegangen und haben
uns gefragt: was ist tragbar, was ist die Essenz dieser Geschichte,
vor allem auch: wie werden wir der Frau Junge gerecht? Im Laufe
dieses zehnstündigen Materials gibt es natürlich eine
Unmenge von Anekdoten. Man bemerkt dann die Gefahr, das Anekdotische
zu sehr zu betonen, womit wir der Frau Junge vielleicht etwas
unterstellt hätten, was ihr nicht gerecht wird. Als wir dann
die Dreieinhalbstunden-Fassung hatten, haben wir die mit der Frau
Junge zusammen angesehen und sie dabei noch einmal gedreht. Sie
hatte so die Möglichkeit, sich mit ihrer eigenen Geschichte
noch einmal auseinanderzusetzen, zu korrigieren und dazwischen
zu gehen. Insofern ist es uns, glaube ich, gelungen, die Essenz
dieses Gesprächs in neunzig Minuten zu verdichten. Der wesentliche
Punkt war dabei sicher, das Anekdotische stark zu reduzieren.
Heller Ich glaube, dass der Dreieinhalbstundenfilm auch
sehr gut gewesen wäre. Ich habe die Frau Junge ja gebeten,
das zu erzählen, was Du das Anekdotische nennst. Sie hat
Sachen erlebt, die andere nicht erlebt haben, beim Mittagessen,
beim Abendessen, bei diesen langweiligen Teenächten, wo immer
alle eingeschlafen sind, weil das so langweilig war mit dem Hitler,
wie sie erzählt... Das wirkt dann natürlich unglaublich
verharmlosend, wenn man das
stundenlang hört. Aber es erzählt auch sehr viel über
diesen Mann.
Schmiderer Es ist natürlich auch um diese im ahrendtschen
Sinn Banalität des Bösen gegangen, und auch
darum, dass man diese Figur Hitler nicht immer nur als Alien da
draußen hat, sondern dass man diese herbeiholt.
Heller Aber das stört ja manche Leute. Auf zehn Leute,
die das sehr berührt, kommt einer, der sagt, ja um Gottes
Willen, ihr könnt doch aus dem Hitler keinen Menschen machen.
Aber das war er. Und gerade deswegen macht mich das sehr viel
mehr betroffen. Das ist der Bruder Hitler, dieser Massenmörder.
Das geht uns natürlich sehr viel mehr an, als zu sagen: der
war keiner von uns.
Hat es für die Wirkung des Films eine Rolle gespielt, dass
mit Frau Junge eine weibliche Repräsentantin dieses Systems
Zeugnis ablegt? Hat das für Sie die Perspektive geändert?
Heller Das spielt eine ganz wichtige Rolle, dass uns eine
Frau da etwas erzählt. Sie hat auch eine wirklich subtile
Wahrnehmung. Oft habe ich gedacht, interessant, an der Stelle
hätte ein Mann vielleicht woanders hingeschaut. Und wenn
sie spricht, über seine Unfähigkeit, sich hinzugeben!
Da gibt es jetzt, ich weiß nicht, fünf Bücher
über Hitlers Sexualleben. Und dann kommt die Frau Junge und
sagt: der war einfach nicht fähig zur Hingabe. Aus, erledigt!
Braucht man nicht mehr zu diskutieren, ob der schwul war oder
sadomasochistisch oder was auch immer.
Sehen sie sich mit dem Film in einer bestimmten Tradition des
Dokumentarfilms, auch im Sinne einer filmgeschichtlichen Aufarbeitung
des Holocaust?
Heller Wir waren uns schnell einig, dass das ein unverschnörkelter
Film sein muss. Der Othmar Schmiderer ist ein minimalistischer,
karger, unverschnörkelter Film-Mensch. Ich bin eher das Gegenteil,
eine barocke, ausufernde Wucherungsphantasie. Der Othmar Schmiderer
war sozusagen ein Ordnungsruf für mich, ein Meister der Genauigkeit
und Kargheit, der sagt: lass dir Zeit, schau noch länger
hin, bleib noch 10 Sekunden drauf, wo ich schon ein bisschen ungeduldig
geworden bin... Das war sehr gut.
Schmiderer Ich tue mich mit Kategorisierungen schwer. Es
gibt natürlich tolle Beispiele, die man nicht an sich vorüber
gehen lassen kann, wie Claude Lanzmann und viele andere. Aber
bei jedem Thema muss man sich doch grundsätzlich und jedes
Mal aufs neue fragen, wie man der Sache am nächsten kommt,
was die Wahrheit ist, was die Wirklichkeit ist. Hier war uns von
vornherein klar, dass dies nur in der Reduktion auf die Frau Junge
liegen kann.
Begriffe wie Wahrheit und Wirklichkeit sind natürlich im
Dokumentarfilm problematische Begriffe.
Schmiderer Keine Frage. Die Frau Junge ist, glaube ich,
ein Beispiel dafür, über die Geschichte zu reden
auch wenn der eine oder andere Winkel vielleicht nicht wirklich
aufgeht: Aber die Bereitschaft, sich grundsätzlich auseinanderzusetzen
und zu differenzieren, das ist wesentlich auch für
diesen Film.
Heller Es geht um die Geschichte einer Person, die sich
durch Nachdenken verändert hat, die bereit war, was zu lernen,
die ihre Lebenszeit genutzt hat, um sich was bewusst zu machen.
Und wie sie dann ihre Erfahrungen, ihre Dämonen und ihre
Nöte losgelassen hat dann hat sie nach ihrer eigenen
Aussage auch das Leben losgelassen und sie hat sterben können.
Davor war es nicht möglich. Für mich ist die Frau Junge
jemand, vor der ich Respekt habe, so wie ich immer Respekt davor
habe, wenn jemand Lehren aus der Geschichte, aus der eigenen Geschichte
zieht. Weil mir das selten begegnet in der Gesellschaft, in der
ich lebe.
Das Interview führte Stefan Grissemann im März 2002 in
Wien |