Zum Film
Traudl Junge war von 1943 bis zum Zusammenbruch
der Naziherrschaft eine der Privatsekretärinnen von Adolf
Hitler. Sie arbeitete für ihn im Führerhauptquartier
in der Wolfsschanze, im Berghof am Obersalzberg, im Sonderzug
und in Berlin. 1944 wurde sie Zeugin des mißglückten
Stauffenberg-Attentats, die letzten Kriegstage und den Selbstmord
Hitlers erlebte sie im Führerbunker der eingekesselten Hauptstadt.
Traudl Junge war es auch, der Hitler sein "Testament"
diktierte.
In Im toten Winkel äußert sich Traudl Junge erstmals
öffentlich über ihr Leben, ihre Erinnerungen, Verstörungen
und Selbstreflexionen. Sie spricht über ihre Kindheit in
München, die Zufälle und Lebensumstände, die sie
zunächst in die Berliner "Kanzlei des Führers",
später als Privatsekretärin in die Wolfsschanze führten,
der täglichen Routine im inneren Kreis von Hitlers Umgebung,
von Tagesabläufen, deren freundliche Banalität in absurdem
Widerspruch zur Vernichtungspolitik des NS-Regimes stand. Wenn
Traudl Junge von den letzten Tage vor Hitlers Selbstmord im Führerbunker
erzählt ein 25minütiger Monolog ohne jeden Filmschnitt
entsteht das in seiner Eindrücklichkeit und Präsenz
fast beängstigende Bild der Leere im Zentrum einer menschenverachtenden
Macht, die angesichts ihrer Niederlage in sich zusammenfällt.
Im toten Winkel verzichtet auf jedes Beiwerk und konzentriert
sich ganz auf die Erzählerin: die intensive, äußerste
Verdichtung jahrzehntelangen, vorbehaltlosen Nachdenkens über
Geschichte, Verdrängung, eigene Verantwortung und Schuld.
Der Film verweigert sich jedem spekulativen Interesse an Geschichten
über die Person Hitlers. Aber er enttäuscht die Sensationslust
nicht: er widerlegt sie. Nach dem Krieg zur wütenden Gegnerin
des Nationalsozialismus geworden, konnte sich Traudl Junge ihre
damalige Naivität und Ignoranz, ihr Versagen nicht verzeihen.
Die Frage nach der eigenen Verantwortung bleibt nicht akademisch,
sondern wird in der schonungslosen, ernsten Erzählung, in
der Mimik und Gestik der Protagonistin, in den Nebensächlichkeiten,
in denen sich unvermittelt die Hauptsache zeigt, erlebbar und
lebendig. In seiner Kargheit für die Leinwand gedacht und
gemacht, ist Im toten Winkel ein Film zum Zu-schauen und zum Zuhören,
spektakulär ohne special effects.
Zur Entstehung des Films.
Die Gespräche zwischen André Heller und Traudl Junge
kamen im Jahr 2001 durch Vermittlung der Autorin Melissa Müller
zustande, die zu dieser Zeit an der Herausgabe und Einleitung
der von Traudl Junge bereits 1947 niedergeschriebenen Erinnerungen
arbeitete. Othmar Schmiderer, der die Gespräche mit der Kamera
aufzeichnete, wählte eine filmische Herangehensweise, die
von wenigen Kameraeinstellungen und dem Verzicht auf zusätzliches
Kunstlicht ausging. Er selbst war für Kamera und Ton verantwortlich,
da so während der Begegnungen mit Traudl Junge der ausgestellte
Charakter eines Filminterviews vermieden werden konnte. Die Gespräche
mit Frau Junge fanden im Frühjahr 2001 in ihrer Münchner
Wohnung statt. Heller und Schmiderer montierten aus dem über
10stündigen Material zunächst eine dreieinhalbstündige
Fassung, die sie Traudl Junge vorführten. Während der
Vorführung hatte Frau Junge Gelegenheit, vor der Kamera Ergänzungen
und Korrekturen vorzunehmen. Unter Einbeziehung der neuen Aufnahmen
komprimierten Heller und Schmiderer den Film schließlich
auf die 90minütige Kinofassung.
Seine Uraufführung erlebte Im toten Winkel auf den Internationalen
Filmfestspielen Berlin 2002, wo er mit dem Panorama-Publikumspreis
ausgezeichnet wurde. Traudl Junge verstarb nach schwerer Krankheit
in der Nacht des 11. Februar 2002, wenige Stunden nach der Uraufführung
des Films.
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